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In der Notfallpsychiatrie des FNPG

Die kantonale Notfallpsychiatrie befindet sich im Zentrum für integrierte psychiatrische Versorgung des FNPG. Von hier aus werden die Behandlungsanfragen an die zuständigen Dienste weitergeleitet.

Es ist fast 8.45 Uhr in der Notfallpsychiatrie des FNPG im Zentrum für integrierte psychiatrische Versorgung in Villars-sur-Glâne. Zwei Pflegefachpersonen kümmern sich umgehend um eine junge Frau, die in der Nähe des Empfangs gewartet hat. Die Patientin ist anscheinend eine Slawin und wirkt etwas verloren. Doch die Beziehungskompetenz des Zweierteams beruhigt sie sofort. Isaline Gardiol, Stellvertretende Stationsleiterin, schaut ihnen nach, als sie sich entfernen. Heute kümmert sie sich nicht darum, den Zustand der Patientin einzuschätzen und die Patienten, die in der Notaufnahme erscheinen, den geeigneten psychiatrischen Diensten zuzuweisen. Ihre Funktion im Bereich der Patientenaufnahme ist komplex und vielseitig, wie es für die anderen Teammitglieder der Fall ist, die alle erfahrene Klinikerinnen und Kliniker sind. Heute arbeitet Isaline Gardiol in der Zuweisungsplattform bzw. der Notrufzentrale, dem Herzstück der Notfallpsychiatrie. In dieser Funktion nimmt sie alle telefonischen Anfragen entgegen und weist die Hilfesuchenden dem geeigneten Dienst zu. Kompetenzen in psychischer Gesundheit, in Helferbeziehungen und in klinischer Beurteilung stehen im Mittelpunkt ihres Berufs.

An diesem Morgen wählt eine besorgte Mutter die Nummer 026 308 08 08, die Nummer der kantonalen Notfallpsychiatrie. Isaline Gardiol nimmt den Anruf entgegen. Sie ist darin ausgebildet, die Anfrage und die Dringlichkeit der Lage einzuschätzen, und stellt eine Reihe präziser und direkter Fragen, um das Anliegen und die Problematik, die dem Anruf zugrunde liegt, bestmöglich zu erfassen. Parallel zu dieser Beziehungs- und Einschätzungsarbeit erfasst sie die Daten auf einem ihrer drei Bildschirme, um diese Mutter später dem geeigneten Dienst zuzuweisen.

Nach mehreren Minuten ist die Beurteilung abgeschlossen: Die Ausführungen der Mutter legen den Schluss nahe, dass ihr sechsjähriges Kind an einer Zwangsstörung leidet. Die Mutter ist zum ersten Mal mit dieser Problematik konfrontiert. Es bereitet ihr Mühe, die klinischen Zusammenhänge und die Notwendigkeit einer spezialisierten psychiatrischen Behandlung zu verstehen. Isaline Gardiol meldet sie beim Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie an. Dieses wird sie für eine Terminvereinbarung direkt kontaktieren.

Nach dem Gespräch kommentiert Isaline Gardiol: «Diese Mutter hat uns auf Anraten ihres Arztes angerufen. Es war eine ziemlich klassische Anfrage.» Dies traf auch auf den vorangegangenen Anruf eines Psychiaters zu. Dieser hatte um eine schnelle Einweisung eines Patienten gebeten, der sich in tiefer psychischer Not befand und stark suizidgefährdet war. Akute Situationen zu erkennen ist in dieser Abteilung von entscheidender Bedeutung. Es geht darum, die Bedürfnisse und das Anliegen der Anrufenden rasch zu erfassen, sie gegebenenfalls zu beruhigen und ihnen wenn nötig einen zeitnahen stationären Aufenthalt anzubieten.

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Unter der Nummer 026 308 08 08 erreichen Sie die kantonale Notfallpsychiatrie. Die Person, die Ihren Anruf entgegennimmt, gehört zur Zuweisungsplattform des FNPG. Sie hört Ihnen zu und wägt mit Ihnen ab, was in Ihrer Situation die beste Option ist, z. B. ein erster Termin im Ambulatorium oder eine Notfallkonsultation.

Gesundheitsfachpersonen können über die Telefontriage der kantonalen Notfallpsychiatrie Hospitalisationen und tagesklinische Behandlungen vereinbaren; Noteinsatzkräfte können über diese Nummer das Mobile Team für psychosoziale Notfälle anfordern.

In der notfallpsychiatrischen Abteilung gewährleisten die Mitarbeitenden der Pflege neben dieser Triagearbeit auch Kriseninterventionen. Dabei handelt es sich um ambulante Kurztherapien für Patienten in Krisensituationen, die weder eine Langzeitbehandlung noch einen stationären Aufenthalt erfordern.

Isaline Gardiol, die die Entwicklung dieses Dienstes als Pflegefachfrau miterlebt hat, über die Relevanz dieses Angebots im Versorgungssystem: «Vor der Schaffung der kantonalen Notfallpsychiatrie im Jahr 2018 wiesen wir viel mehr Patienten dem HFR zu. Die Telefontriage war nur von Montag bis Freitag in Betrieb, heute dagegen sieben Tage die Woche rund um die Uhr. Heute erhalten wir viel mehr Anrufe (2019: 18 000; 2021: 24 000). Covid-19 hat diesen Trend mit der Entstehung einer Zielgruppe noch verstärkt; 2021 verzeichnete die Notfallpsychiatrie einen 40 %-igen Anstieg der Fälle von 18-Jährigen. Sie waren plötzlich isoliert, obgleich das Bedürfnis, in einer Gruppe zu sein, in diesem Alter gross ist. Nie zuvor mussten wir so oft die Notfall-Kinder- und Jugendpsychiaterin bzw. den Notfall-Kinder- und Jugendpsychiater anrufen … Die Lage hat sich inzwischen etwas beruhigt, aber die Folgen von Covid-19 sind immer noch spürbar; wir erhalten viele Anrufe von Menschen, die Angstsymptome haben.»

Den Betrieb der Zuweisungsplattform gewährleisten tagsüber zwei Pflegefachpersonen; nachts eine Pflegefachperson in Zusammenarbeit mit dem Team einer stationären Abteilung.

Isaline Gardiol fasst die Arbeit der Zuweisungsplattform wie folgt zusammen: «Im Grunde genommen prüfen wir bei einem Anruf die Anfrage und den Behandlungsbedarf und versuchen, für den Patienten und seine Familie mit Blick auf den Kontext und die verfügbaren Ressourcen die beste Lösung zu finden. Ein stationärer Aufenthalt ist nicht immer zweckmässig. In Zeiten der Überbelegung müssen wir mit den verfügbaren Betten jonglieren und wir müssen deshalb immer sorgfältig prüfen, ob die Anfrage dringend ist. In jedem Fall müssen wir eine angemessene Lösung anbieten.»

Ihr Kollege Olivier Castella erklärt, dass es nicht wirklich einen typischen Tagesablauf gebe. «An einem Tag können wir drei Anrufe haben – aber genauso gut auch dreissig. In arbeitsintensiven Zeiten ist es ziemlich hart, weil wir etwa acht Stunden am laufenden Band arbeiten.» Isaline Gardiol sagt, sie hätten kürzlich einen rekordverdächtigen Tag verzeichnet: etwa 15 Notfallkonsultationen und 120 Anrufe mit Einschätzung …

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13:00 Zweite Teamsitzung des Tages. Wie in der ersten Sitzung verschafft sich das Team einen Überblick über die Zahl der Notfallkonsultationen, die Bestände, die stationären Kapazitäten und die Bereitschafts- und Hintergrundärzte.

Wie gehen sie emotional mit all diesem psychischen Leid um? «Es kann sehr schwierig sein. Man spürt viel Leid, das auch durch Gewalt hervorgerufen sein kann, aber die menschliche Dimension ist spannend und die Rolle der Pflege vielfältig und anspruchsvoll. So individuell die Arbeit ist, so wichtig ist es, dass wir im Team darüber sprechen», erklärt Isaline Gardiol. «Seinen Humor nicht zu verlieren ist ebenfalls sehr wichtig. Letztendlich hat jeder seine eigene Strategie. Was mich angeht, treibe ich viel Sport und lese gerne nicht allzu ernste Bücher.» Olivier Castella legt nach: «Wir sind ein Team, aber jeder hat seine eigene Technik. Es stimmt, dass es manchmal hart ist, aber wir sind hier, weil wir es wollen.»

Um die Funktion der «Eingangstür, Vorabbeurteilung und Zuweisung» erfüllen zu können, brauchen die Pflegefachpersonen der Notfallpsychiatrie Fachwissen in psychischer Gesundheit und in der klinischen Beurteilung, eine gute Kenntnis des Versorgungsnetzes, Organisationskompetenz, EDV-Kenntnisse und persönliche und berufliche Reife. «Wer sich für diese Stelle interessiert, sollte Erfahrung, eine geeignete Ausbildung und die Bereitschaft zum ständigen Weiterlernen mitbringen», betont Isaline Gardiol. «Zudem müssen unsere Leistungen zweisprachig sein, was eine zusätzliche Anforderung bei der Personalrekrutierung darstellt.»

TEXT Kessava Packiry
FOTO Nicolas Repond

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